Eröffnungsrede zur Ausstellung „Rainer Plum. Im Fluss der Linien“
Freitag, den 18.08.23
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde der Kunst, lieber Rainer,
vielen Dank Frau Scheerer und Frau Oelschlägel für die schönen einführenden Worte.
Ich freue mich heute hier zu sein und mit Ihnen die Ausstellung „Rainer Plum. Im Fluss der Linien“ zu eröffnen.
Wie wir bereits hören durften steht heute ein Künstler im Fokus, der in den letzten vierzig Jahren ein herausragendes und vielfältiges Werk geschaffen hat. Die Fähigkeit, verschiedene Kunstgattungen – ob Zeichnung, Skulptur, Installation oder Fotografie – miteinander zu verbinden, ist zweifelsohne eine Kunstform für sich, die Rainer Plum für sich zu nutzen weiß. Und so versteht es der in Bergisch Gladbach lebende Künstler Grenzen gar nicht erst entstehen zu lassen. Die Linie fließt, überquert das zweidimensionale Blatt der Zeichnung, tritt aus ihr heraus, dringt in den dreidimensionalen Raum vor und manifestiert sich in raumgreifenden Arbeiten wie der Skulptur oder Installation.Der Künstler schafft es seine Werke zu verbinden und trotzdem jede einzelne Arbeit für sich sprechen zu lassen.
Wenn Sie durch die Ausstellung gehen, wird Ihnen zunächst eine klare Struktur auffallen. Doch hin und wieder werden Leerstellen, kleine Brüche und die fließenden Übergänge der Arbeiten sichtbar. Raum für Raum zeigt uns Rainer Plum, auf welche Art und Weise das eine mit dem anderen zu tun hat und, dass seine Werke untertrennbar verbunden sind, sich ergänzen und gegenseitig verstärken. Aus diesem synergetischen Gedanken – aus dem verbindenden Element der Linie – schöpft er neue Ideen und findet sich stets im Experiment und in der Suche nach dem Neuen wieder.
Dieser Gedanke zeigt sich auch im Werdegang des Künstlers. Zunächst studierte er von 1977 bis 1982 Malerei an der Kunstakademie in Düsseldorf bei Gerhard Hoehme. Hier begann bereits seine Suche nach dem Neuen und dem Annähern an neuen Medien. So beschäftigte er sich zum Beispiel bereits früh mit kleineren Lichtexperimenten. In den 1980er-Jahren fand er den Weg zur Zeichnung und Skulptur, wobei das Malen immer weiter in den Hintergrund rückte. Die Hinwendung zu anderen Kunstformen zeigt sich auch, als Rainer Plum 1991 bis 1994 das Studium der audiovisuellen Medien an der Kunsthochschule für Medien in Köln absolvierte. Ab hier rückten plötzlich Installationen und Fotografien in den Fokus seines Schaffens. Während seiner Professur für das Lehrgebiet „Methodenlehre der visuellen Darstellung“ an der Fachhochschule in Aachen, das er von 2004 bis 2018 innehatte, konnte er sein Wissen weiterentwickeln und vor allem weitergeben.
Ein besonderes Phänomen scheint den Künstler bereits über mehrere Jahrzehnte zu begleiten: Es ist die Linie. Wir begegnen ihr regelmäßig im Alltag, beispielsweise in geschriebener Schrift oder gezeichneten Skizzen, in eigentlich all den Dingen, die wir mit der Hand und einem Stift ausführen. Doch was ist eigentlich eine Linie? Im DUDEN konnte ich folgende Bedeutungen finden: „längerer, gerader oder gekrümmter (gezeichneter o.ä.) Strich“ oder „gedachte, angenommene Linie, die etwas verbindet“. Es sind ebenjene Bedeutungsebenen, die sich auch im Werk Rainer Plums wiederfinden: Es ist zum einen die Form der Linie, ein Strich der von unten nach oben, von rechts nach links verläuft, sich krümmt, biegt, mal kurz, mal lang ist. Zum anderen ist es die Idee des Verbindens und neu Zusammensetzens. Ändert sich die räumliche Situation, verändern sich auch die Wechselbeziehungen der einzelnen Arbeiten und neue Zusammenhänge werden sichtbar.
Werfen wir nun einen Blick auf seine Zeichnungen. Eine Werkgruppe, die seit über vierzig Jahren entsteht und für ihn bis heute von großer Bedeutung ist. Mal gedrungen, mal struppig oder auch hauchzart und kraftvoll zieht die Linie ihren Weg über das Zeichenpapier. Seit den 1980er-Jahren zeichnet er abstrakte und energetische Linienbündel, die sich allmählich großflächig ausbreiteten und immer mehr Bildraum einnahmen. Zu sehen sind stark gestische Zeichnungen, die aus Zufall und Bewegung entstehen. Wuchtig und zottelig bündeln sich die Graphitlinien auf dem Papier und erwecken den Eindruck einer schlagartigen Entladung von Energie. Im Laufe der Jahre verdichtete sich die Schlagkraft der aufgeladenen Linien, die sich nun im Zentrum des Bildes bündeln. Von weiter Distanz betrachtet scheinen sich die Zeichnungen zu ähneln. Sie laufen meist senkrecht, haben hin und wieder Ausschläge. Treten wir jedoch näher heran, offenbart sich auf der kleinen Fläche ein tosender Sturm aus Linienknäulen, Fäden und kleinen Strichen, die das Blatt streifen und ihre feinen Spuren hinterlassen oder auch kräftig auf der Oberfläche liegen. Die Zeichnung mit dem Datum 8.08.2016, die im zweiten Raum der Ausstellung zu sehen ist, zeigt eine aus sich herauswachsende Linie, die von unten nach oben zu streben scheint. Das obere Ende erinnert an Blütenknospen, die feine, zarte Linienspuren in alle Richtungen verteilen – wie eine Pusteblume, die ihre tanzenden Samen in die Welt hinausträgt. Es ist diese unglaubliche Lebendigkeit und körperliche Nähe, die sich über die Kraft der Linienführung ausdrückt.
Die Zeichnung kommt aus der Handbewegung des Künstlers. Er setzt immer wieder neu an, dreht das Papier und lässt die Linie mit einer Selbständigkeit ihren Weg über die Oberfläche finden. Aus einem inneren Impuls heraus greift Rainer Plum immer wieder zum Stift und hinterlässt gezeichnete Energie als Graphitspur auf dem Blatt. So unterscheidet sich auch jede Zeichnung, keine gleicht der anderen. Doch wie genau können wir uns diesen Weg von der Idee im Kopf bis zum letzten ausgeführten Strich vorstellen? In ihrem Katalogbeitrag beschreibt Petra Oelschlägel diesen sehr prozesshaften Weg den Rainer Plum immer wieder zurücklegt:
„Einatmen und ausatmen, stocken, hinterfragen, wieder einatmen und ausatmen, weitergehen, weiterzeichnen, abstoppen, ohne Druck die zarte Spur auftauchen lassen, weiteratmen, ein- und ausatmen, vielleicht die Luft anhalten, schauen, suchen, schnaufen, eine Spur aus dem Blatt führen ohne dessen Dimensionen zu übertreten.“
Mit diesen bildhaften Worten wird deutlich, dass jede Zeichnung aus einem Moment heraus entsteht. So erhält das Datum, das Rainer Plum unter jede Zeichnung setzt, eine neue Bedeutung. Es ist nicht nur der Titel der Arbeit, sondern setzt einen klaren zeitlichen Schnittpunkt. Hier ist etwas zu Ende und Morgen beginnt etwas Neues und trotzdem scheint alles verbunden zu sein.
Wenden wir uns nun einem ganz anderen Medium zu. Aus dem Interesse am Neuen, an technischen Aspekten in der Kunst und dem Einbeziehen von künstlichem Licht entwickelte Rainer Plum Lichtinstallationen aus Lasern. Seit seinem Studium in den 1990er-Jahren an der Kunsthochschule für Medien in Köln entstehen temporäre Installationen, die sich aus verschiedenfarbigen Laserprojektoren zusammensetzen. Er verwendet grüne, rote oder blaue linear verlaufende Laserstrahlen, die ihr Licht in den Raum werfen und ihre Wahrnehmung verändern. Die Installationen haben ihren Ursprung eigentlich in den Zeichnungen, aus denen sie sich schrittweise entwickelten. Hier übertritt der Künstler die Grenze der flächigen zweidimensionalen Abbildung und überführt sie in den dreidimensionalen Raum. Die Linien werden plötzlich greifbar und interagieren mit dem Raum, der Bewegung und eigenen Körperlichkeit.
Er arbeitet immer vor Ort und passt seine Installationen der vorgegebenen Architektur an – im Innen- wie auch im Außenraum. Im Jahr 2011 zeigte er beispielsweise in Aachen eine großangelegte Außeninstallation. Am Katschhof, ein Platz der sich zwischen dem Aachener Dom und dem Rathaus befindet, durften sich Menschen grünen Wandflächen annähern. Mithilfe von mehreren grünen Laserstrahlen ließ er Lichtflächen aus dem Nichts heraus erscheinen. Das unterhalb der Stadt liegende Thermalwasser brachte ihn auf die Idee Sprühregen als Trägermaterial für seine Laser zu nutzen. Die grünen Laser in Verbindung mit dem feinen Regen und den unterschiedlichen Windströmungen in der Luft bildeten spannende Lichtschleier und architektonisch wirkende Aufbauten aus Licht.
Für unser Kunstmuseum entwickelte Rainer Plum zwei neue Installationen, die mit den räumlichen Gegebenheiten der Villenarchitektur korrespondieren. Für ihn ist nicht nur die für sich stehende Installation von Bedeutung, sondern auch die individuelle Wahrnehmung des Raumes. Was passiert mit uns, wenn Wandvorsprünge mithilfe von Laserlicht optisch verschoben werden? Geraten dann plötzlich Zeit und Raum durcheinander? Die zunächst leicht zu durchschauenden Lichtinstallationen entpuppen sich als Orte des Nachdenkens und Nachfühlens. Mit jeder Linie greift der Künstler in die Wahrnehmung des Raumes ein – bricht, erweitert oder dekonstruiert diesen. Somit müssen die Installationen vor Ort angesehen, erfahren und umrundet werden.
In der Ausstellung finden Sie zwei abgedunkelte Räume vor. Ihnen werden kleine leuchtende Elemente auffallen, die Sie im Gegensatz zu anderen weitlaufenden Linien viel intensiver wahrnehmen. Wenn Sie die Treppen von der 1. Etage in die 2. Etage nehmen, werden Sie Stufe für Stufe der Installation in der Halle näherkommen. Mit jeder Treppenstufe, die wir nach oben steigen und tiefer ins Innere der Halle blicken, bewegen sich drei grüne Sterne über eine durchsichtige, dünne Nylonschnur in der Mitte des Raumes. Sie leuchten in einer starken farblichen Brillanz und setzen mit ihrer strahlenden Aura den Raum plötzlich in Bewegung. Im Erkerraum sehen Sie das Spiel zweier Farben, die auf Ihrer Augenhöhe malerisch zusammenfließen und einen fast holografischen Effekt haben.
Über die Installationen fand der Künstler schnell zur Fotografie. So werden Ihnen direkt zu Beginn in der Ausstellung die Aufnahmen aus Aachen begegnen, die Rainer Plum von der Außeninstallation gemacht hat. Er wählt ganz spezielle Situationen aus seinen Lichtinstallationen aus und hält sie fotografisch fest. Anschließend folgt ein Bearbeitungsprozess. Teilweise sind die ortsbezogenen Situationen räumlich noch erkennbar, wie ebenjene aus Aachen oder andere wie diese auf dem Vorplatz des ZKM in Karlsruhe. Andere jedoch zeigen zeichnerisch anmutende Linien, die in abstrakten Nebelfeldern verschwimmen. Indem er die Fotografien mal in schwarz oder auch weiß umwandelt, werden die zunächst abgelichteten farbigen Laser zu weißen oder schwarzen Linien, die eine tiefe dreidimensionale Raumwirkung erzeugen. Die Fotografien gehen somit über den rein dokumentarischen Zweck hinaus und zeigen eine ganz klare und offene Bildsprache des Künstlers.
Rainer Plum gibt uns mit seiner Ausstellung einen kleinen Einblick in sein langjähriges Schaffen, das lange noch nicht beendet ist. Er ist immer auf Suche nach dem Neuen – ob es sich dabei um neue räumliche Situationen handelt, denen er sich stellen muss, oder technischen Neuheiten. Es geht ihm dabei auch immer um das Hinterfragen seines Tuns und der Suche nach der höchsten Form der Harmonie und dem essentiellen Funken in seiner Kunst.
Abschließend möchte ich mich bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Kunstmuseums bedanken. Mein besonderer Dank geht an Petra Oelschlägel, die mir großes Vertrauen entgegengebracht und mich bei meinen Ideen unterstützt hat. Vielen herzlichen Dank an dieser Stelle! Ich danke außerdem: Herbert Hachenberg für die technische und handwerkliche Unterstützung beim Aufbau der Ausstellung, Sabine Elsa Müller und Ute Grosch bei der Redaktion des Ausstellungskatalogs, Martina Weißbeck und Ruben Campodonico und allen anderen aus dem Team. Darüber hinaus möchte ich mich auch bei Michael Wittassek bedanken, mit dem wir gemeinsam einen sehr schönen Katalog auf die Beine stellen konnten.
Außerdem danke ich auch dem Galerie+Schloss e.V. und der VR-Bank Bergisch Gladbach-Leverkusen. Dank Ihnen dürfen wir die regionale Kunstszene stärken und die Aufmerksamkeit auf solch herausragende Künstlerpersönlichkeiten wie Rainer Plum lenken. Zu guter Letzt: Rainer, vielen Dank für diese großartige Ausstellung und diese wunderbare Zusammenarbeit!
Ich wünsche uns allen nun einen schönen Sommerabend! Kühle Getränke und ein wenig Käse finden Sie im grünen Salon. Ich bedanke mich ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit. Die Ausstellung ist eröffnet!
Sabine Majer M.A.